Jordan Bike Trail 2023

Im Frühjahr 2023 bereiste ich Jordanien mit dem Gravelbike einmal von Nord nach Süd. Ein wilder Ritt durch Wälder und rote Wüsten, grünes Ackerland, pulsierende Metropolen von der syrischen Grenze bis ans Rote Meer.


Schweigend und mit zusammen gebissenen Zähnen quälen wir uns bergauf. Etwa 1700 Höhenmeter liegen noch vor uns, von Schwitzen keine Rede bei fünf bis zehn Grad und stetigem kalten Gegenwind. Der Himmel über uns ist dunkelgrau, vereinzelt fallen Regentropfen. Als wir endlich die asphaltierte Straße erreichen, ist der Anstieg noch längst nicht vorbei. Bei einer Verschnaufpause werfen wir einen Blick zurück: Durch die schnell ziehenden Wolken fallen wenige Sonnenstrahlen in das Wadi auf die hinter uns liegende Bergfront und erzeugen eine dramatische Lichtstimmung.

„Welcome to Jordan!“, rufen uns die Menschen in den Dörfern und auf den Straßen zu. Der Anblick unserer bunten Fahrräder mit den Packtaschen sorgt vielerorts für Erstaunen, denn hierzulande gelten sie als reines Kinderspielzeug. Auf unserer gesamten 12-tägigen Reise, auf der wir ganz Jordanien von Norden nach Süden bis ans rote Meer durchqueren, sollen wir nur zwei anderen Bikern begegnen - beide Europäer. Unsere Tour beginnt bei dem Ruinenort Um Quais nahe der syrischen Grenze. Die antike Stadt liegt auf einem Plateau. Zwischen den Säulen und Überresten der Bauwerke wächst sattgrüne Wiese mit allerlei Blumen, es ist Frühling in Jordanien. Wir überblicken das nach Norden hin abfallende Flusstal des Yarmuk. Hinter dem Grenzfluss zwischen Jordanien und Syrien erheben sich die Golanhöhen. Westlich davon sehen wir den See Genezareth. Der tiefstgelegene Süßwassersee der Erde (212 m unter NN) liegt in Israel. 

Aus dem Dreiländereck orientieren wir uns in einer weit geschwungenen S-Kurve südwärts. Der Norden des Landes mutet mediterran an zu dieser Jahreszeit, die sonst karge Landschaft ist grün, üppige Wiesen und Olivenhaine, gelbe Rapsfelder und rotbraune Äcker wechseln sich ab. Was uns schon zu Beginn angenehm auffällt: Fernab von der Großstadt Amman hält sich der Verkehr auf den Straßen in Grenzen. Meist sind wir allerdings auf Schotterpisten unterwegs und schon am ersten Tag schieben wir die Räder steile, nicht aufhören wollende Rampen hinauf. Der lose Untergrund macht das Fahren oft unmöglich. Dennoch genießen wir die Landschaft. Der Himmel ist bedeckt und auf dem Weg nach Kufr Rakeb fahren wir auf ein gewaltiges Gewitter zu. Wir bleiben zum Glück verschont und erreichen bei Einbruch der Dunkelheit trockenen Fußes unser erstes Etappenziel.

Dass wir während des Ramadan reisen hat Vor- und Nachteile. Im Fastenmonat essen die Muslime erst nach Sonnenuntergang, sprich gegen 19 Uhr. Vormittags herrscht zu dieser Zeit besonders wenig Verkehr auf den Straßen, etwas einkaufen zu wollen gestaltet sich ab und an aber auch etwas schwierig. Vor allem in den ländlicheren Gegenden müssen wir uns fast verstecken, wenn wir unterwegs einen Riegel essen wollen. Umso reichhaltiger fällt das Abendessen aus. Ob in privaten Unterkünften, Hotels oder Camps, jeden Abend werden wir fürstlich bekocht. Mein persönlicher täglicher Favorit ist der Fattoush-Salat oder der Gurken-Tomaten-Salat. Nach einer Woche Radfahren in Jordanien fließt kein Blut mehr in unseren Adern, sondern Hummus. Außerdem kann man nie genug von Moutabel oder Baba Ganoush (verschiedene Auberginen-Dips), Labneh (ein sehr reichhaltiger Joghurt) oder Gallayeh (gebratene Tomaten) haben. Ein häufiges Hauptgericht ist Maqluba. Dabei wird das Fleisch auf dem Boden eines Topfes gegart und mit Reis bedeckt. Wenn das Gericht fertig ist, wird es auf einen Teller gestürzt und der Topf entfernt; die Fleischsäfte ziehen dann in den Reis ein und geben den Geschmack ab. 

No items found.
No items found.

Während wir die ersten vier Tage auf dem Jordan Bike Trail durch grüne Umgebung fahren und kaum etwas von der für die Region typische trockenen Landschaft erahnen können, verändert sich gen Süden langsam das Bild. Am fünften Tag fahren wir von Madaba ans tote Meer. Wir verlassen das Stadtgebiet und beginnen unsere Fahrt durch das Wadi Zarqa-Ma’in. Dabei finden wir uns schon bald in einer steppenartigen Region wieder. Das viele Grün wird durch Gelb- und Brauntöne ersetzt aufgelockert von Kakteen, Olivenbäumen und blühenden Oleanderbüschen. Die schnell ziehenden Wolken werfen dunkle Schatten auf die beigen Hügel, je weiter wir fahren, desto mehr ähnelt die Umgebung einer Mondlandschaft. Der Basalt im Flusscanyon ist schwarz und die Steinformationen beeindrucken uns. Menschen treffen wir heute kaum, nur eine Beduinenfamilie mit ihren Herden. Sie leben in Zelten, die meist mit orangefarbenen oder weißen Planen bedeckt sind, sodass man sie schon von weitem sieht. Das ist für uns auch gut, denn die Treffen mit den Hütehunden haben es meistens in sich. Schon nach den ersten Aufeinandertreffen haben wir gelernt, die Landschaft nach Zeichen für das Treffen auf Hunde zu lesen, um nicht von ihnen überrascht zu werden. Es sind immer mindestens zwei, aber nicht selten sechs bis zehn Hunde, die ihre Herden, Häuser oder Welpen vor uns verteidigen wollen. Einer bellt zum Angriff und die wütende Meute stürzt sich auf uns. Die ersten Tage schnellt jedes Mal der Adrenalinspiegel so in die Höhe, dass es ein Wunder ist, ohne Stürze in der Hektik davon zu kommen. Die Hunde kommen zähnefletschend zentimeternah an uns heran, man kann beinahe ihren Atem an den Knöcheln fühlen. Erwischt hat uns zum Glück keiner, aber ein paar Mal war es haarscharf.

Irgendwann verlassen wir das Wadi und erreichen eine geteerte Straße, die nach Makawer und Jabal Bani Hamida führt. Anstelle weiter in Richtung Dhiban zu fahren, entscheiden wir uns für einen Umweg ans Tote Meer. Das war eine goldrichtige Entscheidung, den vor uns liegt die beste Abfahrt der Tour. Wie auf einer Murmelbahn rollen wir talwärts, jede Serpentine bietet uns eine neue eindrucksvolle Aussicht. Die kargen Hügel wechseln die Farben von beige über rot und grün zu schwarz. Und dann liegt es da, das Tote Meer - ein Salzwassersee 430 Meter unter dem Meeresspiegel. Die Stimmung ist mystisch, das gegenüberliegende israelische Ufer ist durch den Dunst kaum zu sehen. Je näher wir kommen umso stärker können wir das Salzwasser riechen.

Auf diese Genussfahrt folgt am nächsten Tag der härteste Teil der Tour. Auf dem Programm stehen ungefähr 2000 Höhenmeter aufwärts. Aber vorher gehts erst einmal bergab durch das Wadi Mujib - von Murmelbahn kann hier keine Rede sein. Loses Geröll und ausgewaschene Wege machen das Vorwärtskommen sehr schwer. Immer wieder steigen wir ab und schieben die Bikes. Die Landschaft ist einfach  spektakulär. An den Hängen, die das Wadi umschließen sind die unterschiedlichen Gesteinsschichten zu erkennen, immer wieder finden wir versteinerte Muscheln. Die Abfahrt dauert gefühlt ewig und am Grunde des Wadis, wo wir den Fluss über Steine überqueren ist erst einmal kein Weg zu sehen. Nach kurzem Suchen und mithilfe des GPS Geräts finden wir ihn dann aber doch und der Anstieg beginnt - und was für einer! Sand und Steine auf zerfurchten Pisten. Auch hier wird viel geschoben, auf dem trockenen Untergrund drehen die Reifen durch, es ist kräftezehrend. Die Landschaft surreal: Gewaltige Sandsteinformationen so weit das Auge reicht. In dieser Mondlandschaft haben wir das Gefühl, keine Menschenseele außer uns wäre da, aber in der Ferne sehen wir doch ab und zu Schafherden mit Hirten, die uns unverständliche Begrüßungen zurufen. Während wir langsam bergauf kriechen wird der Himmel immer dunkler und der kalte Wind stärker. Bevor wir unser Etappenziel Kerak erreichen wird es dunkel und als wir uns auf dem holprigen Weg vorwärts tasten, haben wir „endlich“ den Platten, mit dem wir schon den ganzen Tag gerechnet hatten. Richtig Abenteuer-Feeling“ kommt auf, als es dann auch noch beginnt zu regnen. Das Wadi Mujib wird auch als Grand Canyon Jordaniens bezeichnet - wir nennen es liebevoll Death Valley. 

Wir verbuchen auf unserer Reise auf dem Jordan Bike Trail viele Scenic Rides, ein landschaftliches Highlight jagt das nächste. Der Trail ist anspruchsvoll und bietet viele Herausforderungen. Die Menschen waren meistens gastfreundlich und interessiert. Als Frau fühlt man sich in manchen Regionen fern der touristischen Hotspots dennoch wegen der kulturellen Unterschiede sicherer in männlicher Begleitung. Die Krönung des Trips sind für uns die Felsenstadt Petra und  Wadi Rum. Petra erleben wir kurz vor Sonnenuntergang, die meisten Touristen hatten die Stadt schon verlassen. Unser Guide erzählte uns von den geschichtlichen Hintergründen und wir kamen aus dem Staunen kaum heraus. Die rote Wüste mit ihren felsigen Bergen und den Frühlingsblumen ist unbeschreiblich schön. Das Abend- und Morgenlicht, das wir hier erleben und die Stille sind atemberaubend und wir hätten ewig bleiben können. Kamele und Jeeps bringen tagsüber die Touristen zu den Sehenswürdigkeiten, nachts breitet sich ein beeindruckende Sternenhimmel über der weiten Fläche aus. Bei süßem Chai lauschen wir der arabischen Gitarre eines Beduinen am Feuer und sind müde von der anstrengenden Fahrt, aber erfüllt von Dankbarkeit, all diese Erfahrungen machen zu dürfen. Jordaniens Vielseitigkeit hat uns so manches Mal verblüfft, seine raue Wildheit unsere Grenzen getestet. Nur noch die Talfahrt nach Aqaba und ein Bad im roten Meer trennt uns von der Heimreise - und vom nächsten Abenteuer. 

more stories

Foto-Ausstellung im BOSCO Gauting 2022

WOMEN'S GEAR AWARD # she is outdoors

Bergseele